Das unerforschte wilde Wesen
2018





„Verloren wirkt dieser kleine Strohhaufen, wie er da versucht über die Straße zu kommen. Zögernd setzt er einen Fuß über die Bordsteinkante, um ihn gleich wieder zurückzuziehen. Es ist dunkel, es regnet, unde der Fluß der Autos ist gnadenlos. Keine Chance für das seltsame Wesen auf zwei Beinen, das da im Münchner Feierabendverkehr irrlichtert, als hätte es ein sadistischer Gott dort ausgesetzt. Man weiß nicht recht, ob man die zerzauste Kreatur nun niedlich oder unheimlich finden soll (…). Mal stapft das Geschöpf zwischen den Pfeilern einer Straßenbrücke, mal treibt es sich bei den Stämmen eines Holzlagers herum oder durchquert bei dichtem Schneetreiben einen Wald. Wie ein Tier, das auf der Hut ist, beobachtet von einem Jäger? Oder einem Naturfilmer? Von uns? Das Auge einer sehr stillen Kamera jedenfals wahrt wohlwollende Distanz. „Es ist dieses unerforschte Wesen, dem ich versuche, nahezukommen, und das mir immer wieder entwischt“, sagt Judith Egger zu ihrer aktuellen Schau „Lauschen und Lauern“. Seit Jahren betreibt die Künstlerin Feld- und Tiefseelenforschung, um auf etwas zu stoßen, das viele Namen hat: das Unkontrollierbare, Unkalkulierbare, Unbekannte, Unbeherrschte“
Jutta Czegun, aus dem Artikel „Das Wilde in uns“ Süddeutsche Zeitung 7.12.2019
Haben wir uns nicht schon längst von der Natur entfremdet? Wie viel Wildes ist in uns noch vorhanden? Ist uns bewusst, welche Anteile des Instinkthaften, Unergründlichen durch die Zivilisierung in uns verloren gegangen ist? Wie finden wir zu einer lebendigen, gesamtheitlichen Wahrnehmung des Existentiellen zurück?
„Es ist dieses unerforschte Wesen, dem ich versuche,
nahezukommen, und das mir immer wieder entwischt“

